Abenteuer ohne Barrieren: Wie die Erlebniswerkstatt Saar Inklusion im Freien lebt und gestaltet

19/08/2024

Das Interview führte Elisabeth Vanderheiden.

Elisabeth: Bitte stellt Euch kurz vor

Franziska: Ich heiße Franziska Abstein und bin seit März als Trainerin und Inklusionsbeauftragte bei der Erlebniswerkstatt Saar tätig. Meine Arbeit konzentriert sich darauf, das Thema Inklusion in der Weiterbildung und speziell im Kontext der erlebnispädagogischen Methoden voranzubringen.

Andreas: Und ich bin Andreas Puschnig, einer der Geschäftsleiter der Erlebniswerkstatt Saar. Unsere Organisation ist seit langem Mitglied der Landesgemeinschaft Anders Lernen. Durch das Inklusionsguide-Projekt, bei dem wir uns beworben haben, arbeiten wir nun eng mit der KEB und anderen Partnern zusammen. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es uns, neue Wege zu finden, wie wir Inklusion in Bildungsprozesse integrieren können, um so für alle Lernenden eine positive Lernerfahrung zu schaffen.

Elisabeth: Ihr beschäftigt Euch schon recht lange mit dem Thema Inklusion

Andreas: Genau. Bei uns spielt das Thema Inklusion seit Jahren schon eine relativ große Rolle. Zum einen, weil wir sehr viele Teilnehmende haben, die bestimmte Einschränkungen haben, und wir es uns auch so zum Ziel gesetzt haben, die nicht abzuweisen, sondern eben auch die Programme so zu gestalten und zu organisieren, dass wir eben auch mit Personen mit Einschränkungen die Programme durchführen können. Das hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Wir haben ein Projekt "Barrierefreies Baumhaus", wo wir auch im Baumhausbereich barrierefrei unterwegs sind. Als dann die Chance kam, diesen Inklusionsguide zu beantragen, haben wir gesagt: "Hey, das passt super, machen wir." Und das hat auch geklappt.

Elisabeth: Was für Menschen kommen zu Euch, und mit welchen Einschränkungen müssen sie klarkommen?

Andreas: Das ist ein relativ weites Feld. Es gibt natürlich die Menschen, an die man vielleicht zuerst denkt, wie diejenigen, die im Rollstuhl sitzen. Aber es gibt auch Menschen mit geistigen Behinderungen, psychosozialen Schwierigkeiten, sowie körperlichen Einschränkungen wie Erblindung oder Gehörverlust. Das Spektrum reicht also von physischen und geistigen Einschränkungen bis hin zu psychischen Herausforderungen. Zum Beispiel hatten wir einen 15-jährigen Jungen, der bei einer Kanufreizeit als Blinder teilgenommen hat und mit anderen die Saar bis nach Trier heruntergefahren ist. Auch in "normalen" Gruppen gibt es viele Menschen mit spezifischen Bedürfnissen, wie ADS (ADHS), Autismus oder andere Herausforderungen. Die Vielfalt der Teilnehmenden ist also sehr gross.

Elisabeth: Wie darf ich mir das barrierefreie Baumhaus vorstellen?

Franziska: Unser barrierefreies Baumhaus ist so konzipiert, dass wir möglichst allen Menschen den Zugang erleichtern. Das bedeutet, wir haben rollstuhlgerechte Rampen zu den meisten Ebenen. Natürlich gibt es auch höher gelegene Ebenen, die dann nur über Leitern erreichbar sind. Dort bauen wir auch mal einen temporären Seilaufzug ein, um auch rollstuhlfahrenden Menschen den Zugang zu ermöglichen. Wir versuchen, dass jeder das gesamte Baumhaus erkunden kann.

Elisabeth: Wie finden denn die Menschen zu Euch oder wie erfahren sie von Eurem Angebot?

Andreas: Wir haben verschiedene Angebote, die in unterschiedlichen Formen genutzt werden. Wir bieten Ferienfreizeiten an, bei denen Familien oder Jugendhilfeeinrichtungen Einzelpersonen anmelden. Ebenso funktioniert es bei unserem Aus- und Fortbildungsprogramm. Auch Organisationen können Workshops oder Teambuilding-Massnahmen buchen. Darüber hinaus sind wir gut vernetzt, machen Werbung über Social Media, Newsletter und unsere Homepage. Unser Einzugsgebiet umfasst etwa 60 Kilometer rund um die Erlebniswerkstatt, bis nach Saarbrücken, Luxemburg und Trier.

Elisabeth: Wie würdet ihr erklären, dass Ihr Erwachsenenbildung macht und dass das nicht ein therapeutisches Angebot oder ein Angebot für Kinder- und Jugendhilfe ist?

Franziska: Wir bieten zwar auch Programme für Kinder und Jugendliche an, aber unser Hauptfokus liegt auf der Weiterbildung von Multiplikator*innen in der Jugendarbeit. Unser Aus- und Fortbildungsprogramm richtet sich an Fachkräfte der Jugendarbeit und an alle, die Interesse an erlebnispädagogischen Themen haben. Das Programm deckt sowohl spezifische erlebnispädagogische Themen als auch allgemeine Erziehungsthemen ab, wie beispielsweise "Neue Autorität".

Andreas: Die Erwachsenenbildung ist bei uns ein wichtiger Bestandteil, weil wir Fachkräfte und Multiplikatoren schulen wollen. Das Programm dient dazu, neue Ideen und Inspirationen zu vermitteln, die dann in die Praxis umgesetzt werden. Wir haben einen Mix aus internen und externen Teilnehmenden.

Elisabeth: Das Projekt "Let's go Wild" – worum geht es da?

Franziska: Bei "Let's go Wild" geht es darum, mit Jugendlichen in die Natur zu gehen und ihnen Fähigkeiten zu vermitteln, die ihnen Nervenkitzel und Abwechslung bieten. Das Ziel ist es, durch Erlebnisse in der Natur präventiv zu wirken und ein alternatives Abenteuer zu bieten, das nicht in riskante Verhaltensweisen führt. Das Projekt umfasst Aktivitäten wie Abseilen und andere Wildnisfertigkeiten.

Andreas: Der Hintergrund des Projekts ist die Primärprävention. In Saarburg wurde beobachtet, dass immer jüngere Kinder im Bahnhofsbereich abhängen und in riskante Verhaltensweisen verfallen. "Let's go Wild" bietet ihnen ein Abenteuer in der Natur, um sie zu stärken und zu resillienter zu machen. Das Projekt wurde jetzt auch für weitere drei Jahre bewilligt, um es in unserem Landkreis Saarburg fortzuführen.

Elisabeth: Mit Eurer Arbeit verändert Ihr also tatsächlich vieles im Sozialraum?

Andreas: Ja, das ist uns wichtig. Wir bemühen uns, die Vernetzung der verschiedenen Akteur*innen im Sozialraum zu verbessern. Wir arbeiten eng mit Jugendpfleger*innen, Schulsozialarbeiter*innen und anderen Sozialraumträgern zusammen. Das Projekt ermöglicht eine gute Vernetzung und stärkt auch die Elternarbeit.

Elisabeth: Aber wie läuft das dann konkret? Ihr werdet ja nicht einfach Jugendliche an der Bushaltestelle ansprechen. Gibt es Kontaktpersonen in Jugendzentren oder Ähnlichem?

Andreas: Genau, wir sprechen die Jugendlichen nicht direkt an, sondern veröffentlichen die Angebote über unsere Kanäle. Wir sind in engem Kontakt mit Schulsozialarbeiter*innen und Jugendpfleger*innen, die die Jugendlichen gezielt ansprechen können. Wir nutzen auch ein komplexes Verfahren zur Platzvergabe, um sicherzustellen, dass die Teilnehmende aus verschiedenen Verbandsgemeinden und von verschiedenen Ansprechpartner*innen kommen.

Elisabeth: Wie erhebt Ihr denn, ob und was Ihr bewirkt – bei Einzelnen oder Gruppen? Wie evaluiert Ihr das?

Andreas: Die Evaluation im sozialen Bereich ist immer herausfordernd. Wir haben standardisierte Fragebögen entwickelt, die die Teilnehmenden zu drei Zeitpunkten ausfüllen. Diese werden von Mitarbeitenden mit psychologischer Ausbildung betreut. Wir versuchen, über Rückmeldungen von Teilnehmenden, pädagogischem Fachpersonal aussagekräftige Informationen zum Programm zu erhalten, obwohl quantitative Messungen schwierig sind.

Elisabeth: Könnt Ihr erläutern, warum Ihr die Arbeitsgruppe "Hoch-Inklusiv" der ERCA als Partner einbezieht und könnt Ihr die European Ropes Course Association (ERCA) näher erläutern?

Franziska: Die ERCA, also die European Ropes Course Association, vertritt alle europäischen Trainer und Organisationen, die im Bereich Hochseilgärten tätig sind. Sie beschäftigen sich mit Normen und Weiterentwicklungen im Bereich der Hochseilgärten, inklusive temporärer und mobiler Elemente. Die Arbeitsgruppe "Hoch-Inklusiv" beschäftigt sich speziell mit Inklusion in der Erlebnispädagogik und in Hochseilgärten. Die Zusammenarbeit mit dieser Gruppe ist für uns wichtig, weil wir von deren Erfahrungen profitieren können, um unsere eigenen Inklusionsangebote weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Elisabeth: Welche Methoden und Ansätze nutzt Ihr, um das Thema Inklusion im erlebnispädagogischen Kontext zu vermitteln?

Andreas: Wir setzen viele Methoden ein, die auf Kooperation und Sensibilisierung abzielen. Dazu gehören Kooperations- und Vertrauensspiele, bei denen oft Sinne beeinträchtigt werden, um Inklusion zu fördern. Wir haben auch spezifische Aktivitäten wie Bogenschießen mit Blindübungen. Im Wesentlichen geht es darum, eine Haltung zu entwickeln, die Möglichkeiten zur Inklusion sucht. Die Erlebnispädagogik ermöglicht es uns, durch praktische Erfahrungen und Herausforderungen auf inklusiver Basis zu arbeiten.

Franziska: Ein wichtiger Aspekt ist auch die Sensibilisierung der Teilnehmenden durch Selbsterfahrung. Übungen, bei denen beispielsweise die Augen verbunden sind, helfen, ein Bewusstsein für die Herausforderungen von Menschen mit Beeinträchtigungen zu entwickeln. Diese Erfahrungen fördern das Verständnis und die Empathie für andere, was dann in der Reflexion auf das Thema Inklusion eingeht.

Elisabeth: Wenn Geld und Ressourcen keine Rolle spielen würden, was wäre Euer Traumprojekt für die Inklusion in der Erwachsenenbildung?

Andreas: Mit dem Baumhausprojekt haben wir bereits einen großen Traum verwirklicht. Ein weiteres Traumprojekt wäre vielleicht ein Übernachtungshaus in der Natur, das sowohl in der Natur integriert ist als auch alle notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen für Inklusion bietet. Das würde es ermöglichen, noch umfassendere und barrierefreie Naturerfahrungen anzubieten.

Alle Fotos: Erlebniswerkstatt Saar e. V.


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