Inklusion in der Landwirtschaft: Im Gespräch mit Matthias Backes über die Verankerung in der Ausbildung und die Zukunft der Grünen Berufe
Elisabeth Vanderheiden: Vielen Dank, Matthias, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Bitte stelle Dich und Deine Rolle bei der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz kurz vor.
Matthias Backes: Sehr gerne. Mein Name ist Matthias Backes, ich bin bei der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz angestellt und leite das Referat Bildung. Die Landwirtschaftskammer ist zuständig für die Aus- und Fortbildung in den sogenannten Grünen Berufen, also alles, was mit Landwirtschaft, Weinbau, Pferdewirtschaft und ähnlichen Berufen zu tun hat. Unsere Verantwortung reicht beispielsweise von der Winzerausbildung bis hin zum Winzermeisterkurs. Es ist eine spannende und vielseitige Aufgabe, denn wir betreuen alle Aspekte der beruflichen Bildung in diesen Bereichen.
Elisabeth Vanderheiden: Das klingt nach einem umfangreichen Aufgabenfeld. Was hat Euch als Landwirtschaftskammer, die ja ohnehin schon vielfältige Aufgaben hat, dazu motiviert, das Thema Inklusion – speziell in Kooperation mit der Ländlichen Erwachsenenbildung (LEB) – weiter voranzutreiben?
Matthias Backes: Inklusion ist bei uns kein kurzfristiges Projekt, sondern wir arbeiten daran, das Thema strukturell zu verankern. Der Anstoß kam u. a. durch das Berufsbildungsgesetz, das alternative Ausbildungsformen für Menschen mit Beeinträchtigungen vorsieht. Für uns bedeutet das konkret, dass Menschen, die keine reguläre Ausbildung absolvieren können, eine sogenannte Helferausbildung in Berufen wie Winzer oder Landwirt machen können. Besonders 2022 haben wir einen entscheidenden Schritt gemacht, indem wir Inklusionsaspekte fest und verbindlich in unsere Meistervorbereitungskurse integriert haben. Das ist jetzt ein Standardelement in allen Meisterkursen. Auf diese Weise möchten wir sicherstellen, dass zukünftige Betriebsleitungen nicht nur die fachlichen Kenntnisse erwerben, sondern auch eine Sensibilität für die Herausforderungen von Menschen mit Beeinträchtigungen entwickeln.
Elisabeth Vanderheiden: Das heißt, Inklusion ist in der Meisterausbildung jetzt fester Bestandteil. Welche Erfahrungen habt Ihr bisher gesammelt, und wo seht Ihr die größten Herausforderungen?
Matthias Backes: Genau, es ist ein fester Bestandteil der Meisterausbildung geworden, was uns sehr wichtig ist, um Inklusion langfristig und nachhaltig in der Landwirtschaft zu verankern. Die Integration von Inklusionsaspekten in die Meisterkurse wurde von den Teilnehmern sehr gut angenommen. Es war spannend zu sehen, wie offen die meisten darauf reagiert haben. Dennoch gibt es große Herausforderungen, gerade wenn es darum geht, Menschen mit Beeinträchtigungen in landwirtschaftliche Berufe einzubinden. Landwirtschaft ist ein zugleich sehr komplexer und praktischer, oft körperlich anspruchsvoller Beruf, was natürlich zusätzliche Anforderungen an die Ausbildung stellt. Dazu kommen gesetzliche Vorgaben. Zum Beispiel müssen Ausbildungsbetriebe bestimmte Qualifikationen nachweisen, um Menschen mit Beeinträchtigungen ausbilden zu können. Das ist eine Hürde, die einige Betriebe abschreckt. Aber durch die Integration dieser Qualifikationen in die Meisterkurse haben wir eine bürokratische Hürde bereits abgebaut. Unsere zukünftigen Meister_innen verlassen den Kurs mit dem notwendigen Wissen, aber auch dem erforderlichen Zertifikat, um Inklusionsmaßnahmen direkt in ihrem Betrieb umsetzen zu können.
Elisabeth Vanderheiden: Das ist ein beeindruckender Schritt. Sensibilisierung scheint dabei ein Schlüsselthema zu sein. Wie geht Ihr darüber hinaus noch vor, um das Bewusstsein weiter zu fördern?
Matthias Backes: Sensibilisierung ist tatsächlich ein zentrales Thema. Durch die Integration in die Meisterausbildung erreichen wir eine systematische Auseinandersetzung mit Inklusion. Es ist wichtig, dass sich die zukünftigen Führungskräfte in der Landwirtschaft bereits während ihrer Ausbildung mit dem Thema auseinandersetzen. Das schafft nicht nur Bewusstsein, sondern bereitet sie auch darauf vor, Inklusion praktisch umzusetzen. Darüber hinaus ist es uns wichtig, Inklusion als Teil einer ganzheitlichen Ausbildung zu sehen, sodass die Teilnehmenden nicht nur darauf vorbereitet werden, Menschen mit Beeinträchtigungen auszubilden, sondern dies als einen natürlichen und selbstverständlichen Teil ihrer Arbeit betrachten. Es geht darum, langfristig eine Kultur zu schaffen, in der Inklusion in der Landwirtschaft zur Norm wird.
Elisabeth Vanderheiden: Welche langfristige Vision verfolgt Ihr in diesem Bereich, und wie wollt Ihr die strukturelle Verankerung von Inklusion in der Landwirtschaft weiter stärken?
Matthias Backes: Unsere Vision ist es, dass Inklusion in der Landwirtschaft als selbstverständlicher Bestandteil des Ausbildungs- und Arbeitsalltags gesehen wird. Wir möchten, dass alle landwirtschaftlichen Betriebe die Möglichkeiten und Chancen erkennen, die Menschen mit Beeinträchtigungen in den Beruf einbringen. Die strukturelle Verankerung erfolgt zum einen durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Meisterausbildung. Zum anderen wollen wir mehr Betriebe aktiv einbinden, indem wir Schulungsangebote ausweiten und aufklären, welche Fördermöglichkeiten es für inklusive Ausbildungen gibt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir 2025 eine Bestandsaufnahme machen werden, um zu sehen, wie weit das Thema Inklusion in den Betrieben tatsächlich angekommen ist und wo es noch Hindernisse gibt. Wir hoffen, dass wir bis dahin viele Best-Practice-Beispiele gesammelt haben, die zeigen, dass Inklusion in der Landwirtschaft nicht nur möglich, sondern auch ein Gewinn für alle Beteiligten ist.
Elisabeth Vanderheiden: Jetzt noch eine Abschlussfrage: Wenn Geld und Ressourcen keine Rolle spielen würden, was wäre euer Traumprojekt für die Inklusion in der Erwachsenenbildung?
Matthias Backes: Mein Wunsch wäre, dass das Thema Inklusion so groß aufgezogen werden könnte, dass wirklich alle in der Grünen Branche tätigen Menschen davon hören, sensibilisiert werden und sich viel tiefer mit dem Thema auseinandersetzen. Das beginnt bei uns in der Kammer und geht bis zu den einzelnen Betrieben und Auszubildenden. Es wäre großartig, wenn wir das Thema vollumfänglich bekannt machen könnten – bei jedem in der Branche. Das wäre mein Wunsch, denn wenn das gelingen würde, könnten wir das Stigma, das noch immer mit Inklusion verbunden ist, nach und nach abbauen.
Elisabeth Vanderheiden: Vielen Dank, Matthias, für diesen spannenden Einblick in eure Arbeit. Es ist großartig zu sehen, wie viel Engagement ihr zeigt, um Inklusion in der Landwirtschaft nicht nur kurzfristig, sondern strukturell zu verankern. Ich bin gespannt, wie sich das Projekt weiterentwickelt.
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