Interview mit Lisa Dewes - Ansprechpartnerin beim Landesverband der Volkshochschulen RLP für Inklusion
Elisabeth: Bitte stelle Dich und das Projekt kurz vor.
Lisa: Mein Name ist Lisa Dewes, und ich bin seit Januar beim Landesverband der Volkshochschulen tätig, wo ich primär für die Gesundheitsbildung zuständig bin. Seit September leite ich zusätzlich die Kooperationen mit Schulen. Im Sommer kam dann die Verantwortung für das Inklusionsprojekt hinzu, was mich sofort angesprochen hat. Vor meiner Tätigkeit beim Landesverband war ich fünf Jahre lang bei der Volkshochschule Mainz tätig, wo ich den Gesundheitsbereich sowie den Fachbereich Haus und Garten leitete.
Inklusion war dort bereits ein gelebtes Prinzip. Ein besonders schönes Beispiel war ein barrierefreies Programm, das jedoch nicht gesondert für bestimmte Zielgruppen ausgeschrieben war, sondern allen offenstand. Die Idee dahinter war, Menschen unabhängig von ihren Einschränkungen zu ermutigen, sich an den Kursen zu beteiligen, ohne dass sie explizit auf ihre Behinderung angesprochen wurden. Es ging darum, Berührungsängste abzubauen und Teilhabe ganz selbstverständlich zu gestalten. Das barrierefreie Programm der vhs Mainz
Ein weiteres Projekt, das mir besonders am Herzen liegt, war ein inklusiver Pilateskurs für Menschen mit Sehbehinderungen. Als normaler Onlinekurs in der Corona-Pandemie entstanden, wurde das Angebot durch die Initiative von Teilnehmer*innen zu einer Hörfassung entwickelt, die speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmt war. Der Trainer, ein ausgebildeter Ergotherapeut, gab während der Sitzungen präzise, verbale Anweisungen, ohne selbst sichtbar zu sein. Diese Methode hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Der Kurs läuft inzwischen seit drei Jahren mit Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und sogar aus Österreich. Es war eine tolle Erfahrung, zu sehen, wie der Kurs von den Betroffenen nicht nur angenommen, sondern in ihren Netzwerken aktiv weiterempfohlen wurde. Dies zeigt, wie wichtig es ist, Menschen mit Behinderungen als Expert*innen in den Prozess einzubeziehen, da sie ihre eigenen Bedürfnisse am besten kennen. Pilates Hörfassung für Menschen mit Seheinschränkung
Elisabeth: Was hat Dich persönlich motiviert, dieses Projekt zu leiten, und welche Vision verfolgst Du damit?
Lisa: Die Erfahrungen, die ich in meiner Zeit an der Volkshochschule gemacht habe, haben mich stark geprägt. Besonders die positive Wirkung von Inklusion im Alltag hat mich tief beeindruckt. Es war so wertvoll zu sehen, wie Menschen ihre anfängliche Unsicherheit überwanden und an Kursen teilnahmen, die ihnen vorher vielleicht fremd oder einschüchternd erschienen. Ich möchte dazu beitragen, dass diese Hürden für noch mehr Menschen abgebaut werden, damit sie sich trauen, aktiv zu werden und sich weiterzubilden.
Meine Vision für das Inklusionsprojekt ist es, diese positiven Erfahrungen auf einer breiteren Ebene zugänglich zu machen. Der Austausch zwischen den Volkshochschulen soll gestärkt werden, damit wir voneinander lernen können. Aber auch die Zusammenarbeit mit Behinderteneinrichtungen und Selbsthilfeorganisationen möchte ich intensivieren. Mir ist wichtig, dass wir Inklusion nicht nur intern in unseren Bildungseinrichtungen fördern, sondern auch eng mit denjenigen zusammenarbeiten, die tagtäglich mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen vertraut sind. Sie als Partner*innen und Expert*innen einzubeziehen, ist zentral, denn sie wissen am besten, wo Barrieren bestehen und wie wir diese abbauen können.
Elisabeth: Warum ist Euch das Thema Inklusion wichtig?
Lisa: Die Volkshochschulen haben sich schon immer an alle Menschen gerichtet, unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen. Inklusion ist also seit jeher ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Es geht darum, Teilhabe für alle zu ermöglichen, und das ist ein Grundrecht. In unserem Leitbild haben wir fest verankert, dass jeder Mensch ein Recht auf Bildung hat und lebenslanges Lernen ermöglicht werden muss.
Das Ziel des Inklusionsprojekts ist es, nicht nur einzelne Maßnahmen zu ergreifen, sondern die institutionellen und strukturellen Bedingungen so zu gestalten, dass niemand ausgeschlossen wird. Dabei denken wir über bauliche Barrieren hinaus. Es geht auch um Prozesse wie die Anmeldung zu Kursen oder den Zugang zu Informationen auf unseren Webseiten. Inklusion betrifft alle Bereiche unserer Arbeit. Besonders wichtig ist es, dass wir Menschen mit Behinderungen als Partner*innen in diesen Prozess einbeziehen, da sie aus erster Hand berichten können, wo es noch Hindernisse gibt.
Elisabeth: In der Praxis ist das aber oft nicht einfach, z. B. auf baulicher Ebene…
Lisa: Absolut, bauliche Barrieren sind ein großes Thema, gerade bei älteren Gebäuden, in denen viele Volkshochschulen untergebracht sind. Das ist nicht immer einfach zu lösen, vor allem, wenn die Volkshochschulen Gemeinschaftsräume wie Turnhallen oder Schulaulen nutzen, die nicht immer barrierefrei sind. Aber Inklusion beginnt nicht nur bei der räumlichen Barrierefreiheit. Es gibt viele kleine Schritte, die man schon vorher gehen kann.
Ein Beispiel ist der Anmeldeprozess: Ist die Webseite barrierefrei? Kann die Schriftgröße oder Schriftfarbe angepasst werden? Gibt es Unterstützungsmöglichkeiten, zum Beispiel durch Assistent*innen, die Menschen mit Behinderungen bei der Anmeldung oder Teilnahme an Kursen unterstützen? Auch hier ist es wichtig, die Betroffenen selbst zu fragen und sie aktiv in den Prozess einzubeziehen, denn sie wissen genau, wo es hakt.
Elisabeth: Was steht im Mittelpunkt des Sensibilisierungsworkshops, den Ihr plant?
Lisa: Unser Sensibilisierungsworkshop nächste Woche, auf den ich mich schon sehr freue, wird von einer Expertin der Volkshochschule Stuttgart geleitet. Sie wird uns zeigen, welche rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen es für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen gibt. Ein besonderer Fokus liegt auf den Barrieren, die häufig übersehen werden. Es wird auch um das Thema Assistenz gehen: Wie können wir Assistenzdienste sinnvoll einsetzen, um den Zugang zu unseren Angeboten zu erleichtern? Ein weiteres Thema ist die Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Behindertenhilfe und Selbsthilfeorganisationen. Diese Kooperationsmöglichkeiten sind entscheidend, um langfristig Barrieren abzubauen. vhs Stuttgart Inklusiv
Elisabeth: Welche Plattformen und Tools nutzt Ihr für den digitalen Praxisaustausch, und warum habt Ihr Euch für diese entschieden?
Lisa: Für unsere digitalen Veranstaltungen nutzen wir die VHS-Cloud. Diese Plattform bietet uns die Möglichkeit, sowohl Zoom als auch Big Blue Button als Konferenztools zu verwenden. Diese Tools sind stabil und ermöglichen uns eine barrierefreie Kommunikation, auch mit größeren Gruppen. Der Austausch wird auch digital moderiert, was es uns erlaubt, flexibel auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden einzugehen.
Elisabeth: Wie ist dieser Praxisaustausch genau geplant?
Lisa: Der Praxisaustausch wird von mir moderiert und von Best-Practice-Beispielen aus verschiedenen Volkshochschulen begleitet. Ich bin gerade dabei, diese Beispiele zu sammeln und sie als Impulse für die Diskussion vorzubereiten. Ziel ist es, voneinander zu lernen, Mut zu machen und konkrete Ansätze für die eigene Praxis zu entwickeln. Der Austausch wird regelmäßig stattfinden, damit wir die Umsetzung von inklusiven Projekten kontinuierlich vorantreiben können.
Ein spannendes Beispiel ist da für mich übrigens die vhs Frankfurt. Inklusives Erklärvideo der vhs Frankfurt
Elisabeth: Was würdest Du jemandem sagen, der sich noch unsicher ist, ob Inklusion in der Weiterbildung wirklich notwendig ist?
Lisa: Ich würde der Person raten, einfach anzufangen. Inklusion ist ein Prozess, der nicht sofort in vollem Umfang umgesetzt werden muss. Es reicht schon, kleine Schritte zu gehen, zum Beispiel indem man den Anmeldeprozess für Menschen mit Behinderungen erleichtert oder den Austausch mit Behindertenverbänden sucht. Wichtig ist es, die Betroffenen selbst als Expert*innen in die Planung einzubeziehen, denn sie können aus ihrer Perspektive und aufgrund ihrer Erfahrungen wertvolle Hinweise geben. Inklusion ist keine einmalige Maßnahme, sondern ein stetiger Lernprozess, der unsere Gesellschaft bereichert.
Gerade in Zeiten, in denen gesellschaftliche Spaltungen zunehmen, ist es umso wichtiger, den Zusammenhalt zu stärken. Inklusion trägt dazu bei, das Verständnis füreinander zu fördern und Diskriminierung abzubauen. Es geht nicht nur darum, Menschen mit Behinderungen Teilhabe zu ermöglichen, sondern auch darum, alle Menschen zusammenzubringen und gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Das ist auch ein Beitrag zu Demokratieförderung.
Elisabeth: Wenn Geld und Ressourcen keine Rolle spielen würden, was wäre Euer Traumprojekt für die Inklusion in der Erwachsenenbildung?
Lisa: Mein Traum wäre es, eine feste Stelle für Inklusion zu schaffen, die als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen der Volkshochschulen verankert ist. Diese Stelle könnte als Impulsgeber fungieren und eng mit verschiedenen Fachbereichen zusammenarbeiten, um inklusive Angebote zu entwickeln und kontinuierlich weiterzuentwickeln. So könnte Inklusion dauerhaft in unseren Strukturen verankert werden, ohne dass wir jedes Jahr neue Projektanträge stellen müssten. Es wäre ein großer Schritt in Richtung einer wirklich inklusiven Erwachsenenbildung.
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